Ein Blick zurück in die Geschichte des Vertriebs in Deutschland
Je nachdem, wie weit wir zurückblicken, können wir etliche Veränderungen von großer Tragweite beobachten. Vertrieb und moderne Vertriebsstrategien sind grundlegend anders geworden. Dabei spielt die Beschaffenheit des Marktes eine große Rolle. Vier Stufen prägen diese Entwicklung.Anbietermarkt
Die Aufkommende Industrialisierung und vor allem die Schäden nach dem Krieg bestimmten in der Mitte des letzten Jahrhunderts die Vertriebstätigkeit. Damit ist gemeint, dass es keinen Vertrieb gab, denn er war nicht notwendig. Alles was irgendwie produziert werden konnte, wurde sofort von jemandem gekauft. Dies hatte den simplen Grund, dass es von allem zu wenig gab. Man bezeichnet dies als ungesättigten Markt.
Deutschland wurde zum Wirtschaftswunderland, gerade weil sich niemand Gedanken um den Absatz machen musste. Der Fokus lag allein auf Produktion und Distribution. Doch wie alles sich verändert, waren auch die Märkte in Deutschland irgendwann einmal gesättigt. Von diesem Zeitpunkt an konnte jeder Käufer entscheiden, was und von wem er kauft.
Gesättigter Markt
Konsumgüter sind immer ein gutes Beispiel, um Anbieter- und Käuferverhalten sinnvoll zu beschreiben. Wir nehmen das Bild einer Zahncreme. In einem Anbietermarkt fragt niemand nach Marken oder Geschmacksrichtungen – wer Zahncreme benötigt, geht in den Laden, und ist froh, wenn es dort welche zu kaufen gibt. In einem gesättigten Markt ist das anders. Dort findet der Käufer ein volles Regal vor, mit zwei oder mehreren Sorten zur Wahl. Konsumgüter werden in solchen Zeiten vor allem über die Massenmedien beworben. Dies war damals noch TV und Radio, Zeitungen und Illustrierte. Beim B2B, also z.B. dem Vertrieb von Investitionsgütern, genügte ein emsiges Vertriebsteam. Der Vertreter musste vor allem fleißig sein, und bei möglichst vielen potentiellen Kunden anklopfen, um seine Quote zu machen. Der Markt wandelt sich übrigens nicht als Ganzes, sondern jede Sparte und jede Branche zu seiner eigenen Zeit. Jedes neue, innovative Produkt findet deshalb innerhalb seiner Sparte immer zuerst einen Nachfragemarkt vor. Allmählich sättigt sich dieser, und wird bald zum Käufermarkt.Nachfragemarkt
In der Zeit der Käufermärkte wurde zum ersten Mal echter Vertrieb benötigt. Jedes Produkt, das auf den Markt kommt, findet dort nämlich bereits vergleichbare Produkte, gegen die es konkurrieren muss. Im Vertrieb wurden die Leute geschult auf Gesprächsführung und Argumentation. Erstmals kamen Methoden wie Flipcharts und PowerPoint-Präsentationen auf, um einen Punkt zu untermauern. Ganze Lehrbücher wurden geschrieben über psychologisch eindrückliche Argumentationsmethoden, und jede hatte ihr eigenes Buzz-Word. Sie hießen „SPIN-Selling“, „Miller-Heimann“, „Need Assessment“, „Neuro-linguistic Programming“ oder „Value Proposition“. Man bezeichnete das als moderne Vertriebsstrategien, doch es waren vor allem Tricks, um den Käufer zu manipulieren. Die Methoden hatten vornehmlich zum Ziel, den Konsum zu steigern, sowohl im B2C, als auch im B2B. Dennoch konnte ein halbwegs guter Verkäufer leicht seine Umsatzquote erfüllen, denn die einkaufenden Unternehmen hatten für ihre Bereiche sogenannte Budgets festgesetzt, die auch ausgegeben werden mussten. Auch hier konnte man durch emsiges Schaffen eine erfolgreiche Karriere im Vertrieb hinlegen.
Abbildung 1: Die Märkte haben sich für den Anbieter über die letzten Jahrzehnte kontinuierlich verschlechtert
Übersättigte Märkte
In einem übersättigten Markt wird die Arbeit für den Vertrieb zur echten Herausforderung. Moderne Vertriebsstrategien werden wichtiger denn je. Ein neues Produkt, das auf den Markt kommt, wird nicht benötigt. Dies ist so, weil es in jeder Sparte schon genügend etablierte Player gibt. Nur Produkte, die echte Innovationen sind, verkaufen sich ohne Anstrengung. Diesen Zustand des Marktes kann man an folgenden Umständen erkennen.- Vertriebsmethoden, die man von früher kannte, funktionieren nicht mehr
- Es gibt keine Budgets mehr, die in jedem Fall innerhalb eines Geschäftsjahres ausgegeben werden
- Platzhirsche existieren nicht mehr – Unternehmen, die in einer Branche gesetzt sind (Beispiel: Mercedes bei Taxifahrern)
- Jeder Cent wird umgedreht, und jede Investition muss genauestens begründet werden
- Jedes verkaufte Produkt muss zuvor ein vorhandenes Produkt verdrängen
Der Einfluss der Politik auf die Märkte: Die 50er und 60er Jahre waren die Wirtschaftswunderjahre in Deutschland. Dies ist nicht das Verdienst der Politik gewesen, sondern war einzig dem Fehlen von Politik zu verdanken. Entwickler und Marktstrategen machten sich Gedanken, welche Produkte am dringendsten benötigt wurden. Maschinenbauer und Ingenieure ersannen die Methoden, schnell und günstig zu produzieren. Unter Ludwig Erhard, dem zweiten Bundeskanzler der jungen Bundesrepublik, fungierte der Staat als neutraler Wächter über Recht und Ordnung. Aus Wirtschaftsfragen hielt er sich weitgehend heraus.
In dieser Zeit des Aufschwungs gab es keine Arbeitslosen in nennenswerter Zahl. In den siebziger Jahren änderte sich dies, zeitgleich mit der Sättigung der Märkte. Die Politik reagierte nicht, indem sie den Unternehmen noch bessere Bedingungen für Neuentwicklungen und Produktion schuf, sondern indem über die Sozialkassen Geld an die Bedürftigen umverteilt wurde. Neue Behördenstrukturen entstanden. Heute weiß man, dass dies ein Fehler war.
In Aufschwungs- und Wohlstandszeiten wachsen auch die politischen Apparate immer weiter. Es werden wöchentlich neue Regelungen und Verordnungen geschaffen, die jeden wirtschaftlichen Prozess unnötig verteuern. Kostendeckendes Arbeiten wird immer schwieriger. Als Folge davon werden Produktionsprozesse automatisiert, und ganze Wirtschaftszweige ins Ausland verlagert.
Anstatt die Regelwut zu lockern, reagiert der Staat mit noch mehr Kontrolle. Dadurch wird ein immer größerer Anteil des Gesamtvermögens des Landes rückstandslos verbrannt. Schrumpfender Wohlstand bedeutet auch schrumpfende Märkte, wodurch der Konkurrenzkampf noch härter wird. Ein Teufelskreis.
Wie moderne Vertriebsstrategien aussehen
Moderner und altmodischer Vertrieb lässt sich einfach unterscheiden. Die alten Methoden waren unterm Strich nichts anderes, als Überredungskünste. Sowohl im gesättigten Markt, als auch im Käufermarkt, ging es im Wesentlichen um zwei Dinge:- Einen Kunden, der schon vom Kauf überzeugt ist, von der eigenen Marke anstatt des Konkurrenzprodukts zu überzeugen, oder
- Kunden davon zu überzeugen, Dinge zu kaufen, die sie nicht unbedingt benötigen
Der Markt ist ein Verdrängungsmarkt
Die übersättigten Märkte unserer heutigen Zeit bringen es mit sich, dass kein Produkt verkauft werden kann, wenn nicht zuvor ein vorhandenes Produkt verdrängt wird. Wie zuvor bilden innovative, neue Produkte hier die Ausnahme. Wenn ein Produkt gänzlich neu ist, gibt es auch noch keinen Markt dafür, und keine Konkurrenz. Moderne Vertriebsstrategien sind nicht notwendig, da sich das Produkt durch den eigenen Wert fast ‚von selber‘ verkauft. Dies gilt nur, wenn es wirklich innovativ und sinnvoll ist.Niemand kann vom Kauf überzeugt werden
Bedenken Sie immer, dass ein Käufer in der heutigen Zeit nichts mehr kauft, das er nicht unbedingt benötigt. Auch wird er sich kaum von einem alternativen Anbieter durch farbige Prospekte oder eine geschickte Verkaufs-Show überzeugen lassen. Jeder Kauf muss durch eine klare Kosten-Nutzen-Aussage begründet sein. Doch dies allein genügt trotzdem nicht. Der Nutzen muss in überschaubar kurzer Zeit die Kosten überstiegen haben. Dieser Zeitraum wird unter Wirtschaftsfachleuten als „Return on Investment“ bezeichnet. Heutige Unternehmen geben kaum noch Geld aus, wenn dieser als ‚ROI‘ abgekürzte Zeitraum länger als 12 Monate beträgt.
Abbildung 2: Die Differenz zwischen eingesparten Kosten und neu antstandenen Kosten summiert sich über die Zeit, und übersteigt (hoffentlich) bald die Kosten für die Investition
Kosten vs Nutzen ist kein Killer-Argument
Nahezu jedes Investitionsgut dient der Kosteneinsparung und hat ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis. Wird zum Beispiel ein Automat gekauft, ersetzt dieser einen oder mehrere Mitarbeiter. So fallen die Personalkosten aus der Rechnung heraus, und werden durch die Betriebs- und Wartungskosten der Maschine ersetzt. Die Differenz dieser beiden Kostenpunkte muss innerhalb von 12 Monaten in Summe die Anschaffungskosten der Maschine übersteigen. Doch auch mit dieser Argumentationskette entsteht für einen Käufer kein Handlungszwang. Erst wenn die Nutzenrechnung umgekehrt wird, spürt der Käufer den Druck. Aus der Umkehrung der ROI-Berechnung entsteht die Rechnung der Kosten des Nichtstuns. Beim Beispiel der Personalkosten geblieben, würde der Verkäufer also dem Einkäufer vorrechnen: Wenn Du gar nichts machst, kostet Dich das am Tag 800 Euro, das sind im Monat 16.800,- Euro! Das sind die Kosten, die Du Deinem Geschäftsführer gegenüber rechtfertigen musst, wenn Du die Entscheidung hinausschiebst.Durch die Kosten des Nichtstuns entsteht hilfreicher Druck
Diese Kosten sind nicht immer so einfach darstellbar, wie durch die Umkehrung des ROI. In den meisten Fällen ist die Lage deutlich komplexer. Wenn erst einmal nicht-greifbare Werte wie Renommée, Käuferverhalten oder erwartbare Marktanteile mit einberechnet werden, wird es schwierig, die Argumentation wasserdicht aufrechtzuerhalten. Doch darin liegt für moderne Vertriebsstrategien und deren Einsatz die große Chance.Moderne Vertriebsstrategien: Der Vertrieb wird zum Wirtschaftsberater für den Kunden
Wenige Einkäufer besitzen die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse, um alle Facetten einer Berechnung der Kosten des Nichtstuns verstehen zu können. Der Vertriebsspezialist wird auf diese Weise ganz automatisch zum Schullehrer, der dem Kunden den Blick auf die wahren Probleme ermöglicht. Geht der Verkäufer ganz souverän an die Thematik heran, bleibt es nicht dabei, nur dem Kunden diejenigen Dinge zu erklären, die sonst zu komplex wären. Schlendert der stattdessen mit offenen Augen durch das Unternehmen des Kunden, vermag er möglicherweise Potential für diese Argumentation zu entdecken, die dem Einkäufer bisher völlig entgangen sind. Kann sich der Vertrieb als ein solcher Entdecker deutlichen Einsparpotentials darstellen, fällt es jedem Kunden schwer, bei einem Konkurrenten zu kaufen. Schließlich verdankt er seine verbesserte Bilanz der Aufmerksamkeit des Vertrieblers!Die wichtigste Lehre aus der Entwicklung der Vertriebsmethoden
Sie haben in der geschichtlichen Übersicht gesehen, dass sich die Art, in welcher Vertrieb ideal ist, mehrfach gehändert hat. Es ist erstaunlich, zu beobachten, dass viele Unternehmen den Wandel der Zeit noch gar nicht wahrgenommen haben. Es genügt dabei, einen versierten Vertriebsbeauftragten zu befragen, welche Vorgaben er vom Management erhält.Falsche Methode zur falschen Zeit
Viele Vertriebsleiter trieben ihre Teams in den 90er Jahren an, möglichst viele Telefonate zu führen, und Kundenbesuche zu terminieren. Grundsätzlich ist an einer gesund hohen Schlagzahl nichts Verkehrtes. Allerdings darf dadurch nicht die Illusion aufkommen, dass ein Vertriebler allein durch die Schlagzahl zu Erfolg kommen wird.
Jeder Account Manager konnte seinen Konkurrenten in dieser Zeit den Rang ablaufen, wenn er sich auf PowerPoint und versierte Argumentationstechniken verstand. Tat er all dies auch noch in einer konstant hohen Frequenz, war der Erfolg sicher.
Übersicht über die Entwicklung der Vertriebsmethoden
Markt | Ära | Methode |
Anbietermarkt | Nachkriegszeit bis Mitte 70er | Produzieren was das Zeug hält |
Gesättigter Markt | Mitte 70er bis Mitte 90er | Fleißiges Schaffen, viele Kundenkontakte, Werbung |
Käufermarkt | 90er und 2000er | Alle Argumentationsmethoden, Präsentationen, psychologische Tricks |
Übersättigter Markt | Ab 2010er | Berechnung der Kosten des Nichtstuns, kompetente Wirtschaftsberatung |